Naturschutzrechtliche Schutzanordnung zur „Sperrung“ der Nidda hält gerichtlicher Prüfung stand
Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen hat mit mehreren am Freitag, den 24.08.2012 den Beteiligten bekannt gegebenen Beschlüssen Eilrechtsschutz gegen eine Allgemeinverfügung des Regierungspräsidiums Darmstadt versagt. Der Hessische Kanu-Verband und zwei Angelsportvereine hatten sich dagegen gewandt, dass das Regierungspräsidium im März 2012 mit einer zeitlich (bis zum 30.09.2012) befristete Schutzanordnung das Betreten der Flussparzelle der Nidda einschließlich ihrer Uferbereiche, das Befahren mit muskelkraft- und maschinenbetriebenen Wasserfahrzeugen aller Art sowie das freie Laufen lassen und Baden von Hunden in den Renaturierungsgebieten der Nidda untersagt hatte. Betroffen sind zwei Flussabschnitte zwischen Ilbenstadt und Groß-Karben und zwischen Klein-Karben und Dortelweil.
Die Anordnung erging zum Schutz einiger freilebender, besonders und streng geschützter Arten (wie z.B. dem Eisvogel und der Europäischen Sumpfschildkröte) sowie diverser Fischarten, die sich im Fluss- und Uferbereich angesiedelt haben. Die Antragsteller machten neben formellen Mängeln der Allgemeinverfügung u.a. geltend, es fehle an einer konkreten Gefahrenlage, wie dies das Naturschutzgesetz voraussetze, und monierten den zeitlichen Rahmen und die Verhältnismäßigkeit der Anordnung. Die Eilanträge blieben erfolglos. Dem Hessischen Kanu-Verband sprach das Gericht bereits die Antragsbefugnis ab. Der Verband habe nur Rechte seiner Mitglieder geltend gemacht. Dies sei ihm prozessrechtlich jedoch verwehrt. Die Verletzung eigener Rechte sei nicht dargelegt worden. Die beiden Angelsportvereine, die als Inhaber von Fischereirechten eigene Rechte geltend machen konnten, vermochten dagegen in der Sache mit ihren Argumenten nicht durchzudringen.
Das Gericht stellte vielmehr fest, dass die Anordnung des Regierungspräsidiums offensichtlich rechtmäßig und ihr Vollzug eilbedürftig sei. Das Regierungspräsidium habe zu Recht die Form der Allgemeinverfügung – eine Form des Veraltungsaktes – gewählt und nicht eine Rechtsverordnung erlassen und habe diese auch formell ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht.
Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BNatSchG, der der Abwehr von Gefahren im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege diene, lägen vor. Die Befugnis zur Abwehr von Zuwiderhandlungen gegen naturschutzrechtliche Vorschriften bestehe nicht erst bei eingetretenen und andauernden Störungen, sondern bereits bei einer konkreten Gefahr insbesondere bei Verstößen gegen Artenschutzbestimmungen. Bei der Einschätzung, ob ein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand vorläge, habe die Behörde einen nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren naturschutzfachlichen Beurteilungsspielraum, der hier eingehalten sei. Nach der summarischen Prüfung im Eilverfahren beruhe die Beurteilung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände durch das Regierungspräsidium Darmstadt auf einer ordnungsgemäßen Bestandserfassung. Das Regierungspräsidium habe im Laufe des gerichtlichen Verfahrens seine Beurteilung auf in Fachbeiträgen dargestellten faunistischen Untersuchungen vor Ort und auf die Abfrage vorhandener Erkenntnisse bei Fachbehörden und ehrenamtlichen Stellen des Naturschutzes sowie auf die Auswertung bereits vorliegender Daten und gutachterlicher Untersuchungen zu den betroffenen streng oder besonders geschützten Arten, deren Verhaltensweisen und Habitatsansprüchen gestützt. Das Regierungspräsidium sei daher im Ergebnis zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass es ohne die Allgemeinverfügung in den betroffenen Bereichen der Nidda zu einer Verletzung des Störungsverbotes nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG kommen würde, wonach es verboten ist, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören. Die zu befürchtenden Störungen seien erheblich und etwaige Schäden irreversibel, so dass auch die sofortige Umsetzung gerechtfertigt sei. Demgegenüber sei das Fischereirecht der betroffenen Vereine nicht in seiner Substanz betroffen und die Einschränkung daher hinnehmbar. Auch zeitliche Ausdehnung des Nutzungsverbotes bis Ende September sei gerechtfertigt, da im Hinblick auf die späte Eiablage der Europäischen Sumpfschildkröte im Juni erst im Spätsommer mit dem Schlüpfen der Jungtiere gerechnet werden könne.